Unser Gasshuku 2017 am Wolziger See

Am 7. Juli um 4:45 Uhr traf ich die anderen Teilnehmer und so ging es zu viert nach Blossin in Brandenburg, wie bereits zwei Mal zuvor. Die Fahrt war angenehm, es gab keinen Stau und nach einem frühen Schauer hatte sich der Himmel aufgeklart – beste Voraussetzungen für einen hervorragenden ersten Trainingstag also. Erster Tagespunkt war aber nicht das Training, sondern ein gutes Frühstück. Danach holten wir den Schlüssel für die Turnhalle an der Rezeption ab, legten Uniform an und begannen mit großem Geist das vierzehnte Gasshuku.

 

Die Kata des ersten Tages war Taikyoku, eine vermeintlich leichte Kata, die aber wegen des leichten Ablaufs die Schwächen des Ausführenden besonders hervorbringt. Das erste Training führte auch das Thema des Gasshuku ein: Vertiefung der „Stufe 2“. Wir machten leichte Übungen dazu, die als Vorbereitung der nächsten Tage dienen sollten. Zunächst stehend mit totaler Entspannung von Schultern, später im tiefen Stand. Nach drei Stunden war das Training zu Ende.

 

Wir zogen uns erneut um und gingen wieder essen. Wir waren früher in der Speisehalle als uns zugewiesen wurde, doch der zuständige Koch erkannte uns aus den Vorjahren wieder und hieß uns mit einem Lächeln essen. Nach kurzer Ruhepause waren wir bereit für das nächste Training um 14:00 Uhr. Wie in allen Jahren zuvor war das Thema Gyaku-Te, also verdrehende Techniken, sprich Hebel und Muskelverdreher. Ich werde darauf nicht näher eingehen und verweise stattdessen auf ältere Berichte der Vorjahre. Der Vortrag über Möglichkeiten und Grenzen von „Deeskalation“ am Abend war für alle Anwesenden äußerst aufschlussreich.

Nach ein paar Stunden Schlaf klingelte der Wecker um 5:30 Uhr und um 6:00 Uhr gingen wir hinunter an den Waldrand am Wolziger See, um unsere Bokutō-Übungen am See zu machen. Der Morgen war klar und frisch, die Vögel zwitscherten und mit lautem Geschrei marschierte die Schoof Gänse ins Wasser und schwamm davon. Die Übungen mit dem Bokutō stammen von unserem Lehrer Harada Mitsusuke, der sie von Okuyama Tadao lernte, dem beinahe legendären Karateka der Waseda-Universität. Das zweite Training begann um 8:00 Uhr und dauerte wieder drei Stunden. Wir übten die Kata Jitte und vertieften das Studium der „Stufe 2“. Am Nachmittag nahmen wir die „versteckten Waffen“ (Kakushi-Buki) ins Visier. Zentrale Frage war, wie man alltägliche Gegenstände im Notfall als Waffe verwenden kann, z. B. ein japanisches Handtuch (Tenugui). Die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten überraschten mich.

 

Der Vortrag des zweiten Abends war der Trainings- und Lehrphilosophie unseres Lehrers Harada Mitsusuke gewidmet. Zentraler Gedanke in diesem Vortrag war die Kritik des japanischen Systems. Er wünscht sich keine Hierarchien, echte Trainingspartner, die einem verstehen helfen und ein hohes Maß an Selbstreflektion, sodass man nach dem Training über seine Schwachpunkte nachdenkt, sie analysiert und zu verbessern sucht. Ein hastiges Training, in dem „dummer Schweiß“ vergossen wird, ist da nicht zielführend. Wer dem Training regelmäßig beiwohnt, sollte viele der Punkte wiedererkannt haben. Dennoch war es hilfreich seine Philosophie in geordneter Form erklärt zu bekommen.

Der dritte Tag begann ebenfalls sonnig. Im Training begannen wir die „Stufe 2“ mit der Bewegung des Körpers zu verbinden, d. h. es wurde sich noch mehr vorwärts und rückwärts im Fudō-Dachi bewegt. Eine gute Annahme braucht gutes Timing, welches aus der Bewegung leichter zu fangen ist, als aus dem statischen Stehen. Im Nachmittagstraining beschäftigten wir uns mit den Wurftechniken im Shōtōkan-Ryū, welche in Funakoshi Gichins ersten drei Büchern (von 1922, 1925 und 1935) dargestellt werden.

 

Am vierten und letzten Tag versuchten wir das neugewonnene Wissen über die Wichtigkeit der „Stufe 2“ in den gesamten Bewegungsapparat zu übersetzen. Nach diesen vier Tagen hatte ich das Gefühl wirklich gelernt zu haben, in welcher Weise die „Stufe 2“ effektiv einzusetzen ist und wie selbst kleinste Bewegungen sich auswirken konnten. Am Nachmittag stand der auf dem Programm mit der Kata Shūji no Kon und unsern Kumibō, in welchen wir uns mit dem Stock gegen den Stock verteidigten.

Wie immer endete unser Trainingslager zu schnell. Man gewöhnt sich an den Tagesablauf und sofort ist es wieder vorbei. Ich habe dennoch viel gelernt. Sei es das neue Verständnis meiner Technik, die Selbstschutztechniken oder das theoretische Wissen über Konfliktsituationen. Ich möchte mich bei Henning für das wie immer hervorragend geplante Training und bei André für die Organisation bedanken. Wir bleiben dran! Ganbarimashō! (Pierre)


Bō-Lehrgang 2017 mit Henning Wittwer in Niesky

Dass Waffentraining ebenso zum Karate gehört wie das Erlernen unbewaffneter Fertigkeiten, tragen unsere Mitglieder bei „Nippon-Niesky“ e. V. in jedem Frühjahr seit nunmehr über 10 Jahren mit Stolz nach außen.

 

Gäbe es in Deutschland weniger Halbwissen rund um die Kampfkunst aus Ryūkyū, dieser Stocklehrgang wäre bei Weitem nicht so exotisch. Für die Karatewelt niederschmetternd, für die Qualität des Trainings an diesen sonnigen Märztagen mit einer begrenzten Anzahl an Teilnehmern sehr fördernd, widmeten sich alle Beteiligten in insgesamt vier Trainingseinheiten unter Henning Wittwers Anleitung dem Erlernen im bzw. Feilen am Umgang mit dem Stock.

Unterteilt in eine Einsteiger- und Fortgeschrittenengruppe bestand der Schwerpunkt des Lehrganges am 4. und 5. März 2017 im Üben von zwei Kata. Neulinge im Umgang mit Waffen wurden mit der grundlegenden Shūji no Kon vertraut gemacht und gefestigte Teilnehmer beschäftigten sich mit Sakugawa no Kon. Schritt für Schritt baute sich der Ablauf dieser Soloübungen auf, bis er am Sonntag schließlich seine Komplettierung fand.

Beide Gruppen blieben jedoch nicht dauerhaft getrennt, sondern übten bei der Anwendung der erlernten Bewegungen gegen einen Gegner zusammen. Diese Anwendungen bestanden zum einen aus der Verteidigung mit dem Stock gegen Stockangriffe (Kumibō) – Schläge, Stöße und Würfe gehörten zum Repertoire.

Zum anderen investierte Henning Wittwer nicht wenig Zeit in die unbewaffnete Handhabung gegen Stockangriffe – ein wichtiges Thema, welches Funakoshi 1935 im Buch „Karate-Dō Kyōhan“ in seinem Kumite-Teil ausführlich vorstellt.

Neben körperlicher Aktivität gab es auch Nahrung für den Geist in Form von Hintergründen zur Geschichte und Lehre des Stockes in der Kampfkunst, Übertragungslinien sowie wichtigen Formulierungen, allen voran „Die leere Hand ist die Wurzel aller Kampfkünste“.

Für physische Nahrung sorgte Arno mit seinem Lehrgangskuchen. Daneben geht ein Dank auch an André für die Organisation, an Henning für den grandiosen Inhalt, und an alle Teilnehmer. (Rico)