Herbstlehrgang mit Gladys und Bernard Mathieu vom 18. bis 20. September 2015

„It looks easy … but it’s really difficult.“: Bernard Mathieu mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Neun grimmige Gesichter grinsen zurück.

 

Wenn andere flennend dem fallenden Laub nachschauen, ist es für uns wieder an der Zeit uns ganz dem Karate zu widmen. So auch an jenem Wochenende Mitte September: Die Mathieus wollten uns besuchen, um ein Lehrgang auszurichten. Unsere kleine Gruppe, die noch vom Gasshuku ganz trainingshungrig war, erwartete unsere Gäste mit Vorfreude.

Das Training mit den zwei Franzosen hatte für mich immer zwei Seiten. Auf der einen mochte ich immer unbedingt zeigen, was ich schon alles gelernt habe. Auf der anderen geht es darum wirklich zuzuhören und zu verstehen, was die zwei Karate-Größen vermitteln wollen. Der grundlegende Unterschied zu unserem Training in Niesky ist hier die Sprache: nicht so wie Henning gebrauchen sie vereinfachende Worte wie „Runtersackgefühl“, „Stufe 2“, etc. (solche, die ich eindeutig jeweiligen Muskelgruppen und Aktionen zuordnen kann), sondern versuchen es mit einer normalen, für alle verständlichen Sprache. So konnte ich oft erst beim zweiten Versuch verstehen, wie eine Übung funktioniert. Aber hier spreche ich für mich und vielleicht geht es euch ganz anders.

 

Schon am Abend ihrer Ankunft beglückten uns Gladys und Bernard Mathieu mit der ersten Trainingseinheit. Inhalt war vor allem die Beinarbeit. Es ging um das, was wir „Akzeptier- und Explosionsgefühl“ nennen. Dieses Gefühl sollten wir besser kennenlernen und mit dessen Hilfe einen Angriff annehmen können. Schnell wurde klar, dass die für uns schon anspruchsvollen Übungen des Freitags nur das Fundament für das Folgende bilden sollte.

Am Samstag arbeiteten wir weiter an jenem Gefühl. Zuerst versuchten wir es in der Kata Meikyō, dann in den Übungen des Vortages zu reproduzieren. Uns wurde gezeigt, wie man die zwei Zustände kombiniert und schnell aufeinander folgen lässt. Zwischendurch arbeiteten wir immer wieder an unserem Fauststoß, den die Mathieus als Problem bei einigen von uns erkannten. Ich für meinen Teil denke, meinen Tsuki um einiges verbessert zu haben. Das Nachmittagstraining konzentrierte sich auf die Annahme der Tsuki. Hier sollten wir zeigen, wie sehr der Lehrgang bisher fruchtete. Den Mitgliedern unseres Vereins, die eine Trainingseinheit versäumt haben, fiel es zusehends schwer die Punkte der Übungen zu verstehen.

 

Am Sonntag wiederholten wir das Gelernte und versuchten es zu vertiefen.

Als Fazit möchte ich den Lehrgang loben. Das Können der zwei doch schon etwas älteren Herrschaften ist beeindruckend. Gladys Mathieu scheut keinen Körperkontakt und vor ihren Tsuki kann man sich vor Angst in die Hose machen. Über Bernard Mathieu brauche ich hier gar nichts zu schreiben. Ich denke, dass die Übungen sehr anspruchsvoll waren und vor allem unsere zwei neuen Teilnehmer es schwer hatten ihnen zu folgen. Trotzdem haben sie den Lehrgang gut gemeistert und hoffentlich genug für das reguläre Training entnommen. Ganbatte, ihr zwei! Was mir der Lehrgang gab, war eine neue Idee des Tsuki und damit auch ein neues Karate-Körpergefühl. Oft werfen neue Ansätze mein altes Karate-Bild vollkommen über den Haufen. Henning hat das schon oft beschrieben: Wenn man denkt, Karate in seinen Ausmaßen irgendwie verstanden zu haben, dann werden einem jedes Mal von neuem die Augen für einen noch unbekannten Bereich geöffnet.

Ich hoffe euch alle zum nächsten Lehrgang auch wiederzusehen. Ein großes Dankeschön an die fleißigen Köche und mutigen Hallenkehrer! (Nick)


Das Gasshuku 2015 in Blossin

Unser Gasshuku ging vom 6. bis zum 9. August 2015 in seine zwölfte Runde. Am Donnerstag in der Früh begannen fünf tapfere Karateka eine Reise, die bis zum Schluss mit qualitativ hochwertigstem Training gefüllt war.

 

Der Ort des Geschehens war in diesem Jahr Blossin in Brandenburg. Die Teilnehmer mussten damit rechnen, dass dieses Gasshuku als das heißeste in die Nippon-Niesky-Geschichte eingehen könnte. Schweiß musste verstärkt fließen, Pfefferminztee und Wasser versuchten, den Flüssigkeitshaushalt im Gleichgewicht zu halten. Doch nicht nur die ganztägige Hitze und das Schlafen in getrennten Zimmern drangen danach, die Trainierenden und den Zusammenhalt zu schwächen, es waren auch bestimmte abendliche Mahlzeiten, die den Kämpfer zu zermürben versuchten und teilweise unbefriedigt zurückließen. Auch das mitunter vergebliche Hoffen auf Matten sowie die nur für bestimmte Zeit gültigen Schlüssel zum Einhalten der Hallenzeiten als Kontrollmaßnahme der Verwaltung für Zucht und Ordnung, versetzte die „Häftlinge“  in Zeitnot und Bedrängnis und dies sollte das vollständige Ausklingen der Übungseinheiten blockieren, was teilweise gelang.

 

Doch ließen sich diese fünf Übenden von all diesen Hindernissen besiegen?! Das taten sie mitnichten. Denn dagegen hielten ein perfekt ausgearbeiteter Trainingsplan, Kameradschaft, reichhaltiges Frühstück und teilweise befriedigendes Mittagessen, extrem ernst genommene Volleyballturniere und das anschließende Abkühlen im See. Angeregte Unterhaltungen auf höchstem Niveau ließen die Teilnehmer in einen Zustand der Unerschütterlichkeit fallen.

Mit diesen Tagesumständen wurde die Hauptbeschäftigung des Ausfluges angegangen – das Karatetraining. Und dieses war über jeden Zweifel erhaben. Übungen zur Konzentration zum einen und zur Körperstruktur zum anderen mit besonderem Fokus auf den „Stufe 3“-Muskeln mithilfe des Bokutō morgens um 6.00 Uhr leiteten jeden Tag ein. Die eigentlichen je dreistündigen Einheiten am Vormittag und Nachmittag teilten sich in zwei Blöcke: das Entwickeln und Verbessern des Karatekörpers und der Körperstruktur von 8.30 – 11.30 Uhr und von 15.00 – 18.00 Uhr die Behandlung von weiteren Kategorien, wobei  teilweise versucht wurde, die erarbeitete Struktur vom Vormittag einzusetzen. Zwei Vorträge mit den Themen „Orientalismus im Karate“ und „Zenshin“ sowie eine Gesprächsrunde über von Laien geschaffene Märchen und Irrtümer rund um das Karate verfolgten alle Teilnehmer am Abend mit Interesse.

Die Haupt-Kata des Gasshuku waren Heian Sandan und Hangetsu; Taikyoku markierte den donnerstäglichen Anfang und eine Kata nach Wahl bildete den Abschluss, im Falle der fleißigen Übenden waren es erneut Heian Sandan, Hangetsu und zudem Enpi.

 

Der technische Schwerpunkt bestand in diesem Jahr aus zwei wichtigen Punkten, die beginnend mit einfacheren Übungen bis hin zum komplexen Zusammenfügen der einzelnen Elemente den Trainierenden zu mannigfaltigem Fortschritt verhelfen sollte. Diese Punkte betreffen den Gebrauch der Beine.

Mithilfe von fünf Schritten sollten die Grundlagen verstanden werden. Ein Schritt dabei betraf den Aori-Geri, ein wohl von Yoshitaka Funakoshi aus dem Mikazuki-Geri entwickelter Tritt, der mit der Fußsohle als Werkzeug ausgeführt wird. Neben Aori-Geri übten die Teilnehmer den Uchi-Komi, der im Kōkutsu-Dachi ausgeführt werden sollte. Ein beeindruckender Fakt ist der Zusammenhang zwischen dem Aori-Geri und Uchi-Komi.

 

Die Trainingseinheiten des Nachmittags bestanden aus unterschiedlichen wissenserweiternden Themen. Am Donnerstag erhielten alle einen Einblick in das Tuitī (Gyaku-Waza); die in drei Stunden erarbeiteten Griffe konnte man an einer Hand abzählen, was die enorme technische Komplexität nur erahnen lässt.

 

Freitag erlernten die Karateka das Benutzen von versteckten Waffen und Alltagsgegenständen, die als solche verwendet werden können. Will man ordentlich Schmerzen zufügen, muss man erst Schmerzen verstehen, was niemanden zurückweichen ließ. Das Überlebenspaket bestand u. a. aus einem Handtuch (Tenugui). Es kann dabei zwischen sanften (den einen selbst herausfordernden Gegner schonenden) und harten Methoden (bei einer ernsten Situation, Gegner womöglich bewaffnet) unterschieden werden.

Die von Gichin Funakoshi in seinen 1922, 1925 und 1935 verfassten Büchern zusammengestellten elf Würfe (acht fanden Anwendung) bildeten neben vier weiteren aus dem „Bubishi“ (alter chinesischer Boxleitfaden) den Inhalt des Samstagnachmittages. Glücklicherweise sorgte man, als es wirklich wichtig wurde, für Matten, denn zum ordentlichen Ausführen bedarf es vieler Wiederholungen.

 

Das letzte Training am Sonntag galt dem Üben mit dem Stock. Shūji no Kon und das Kumibō schulten den Umgang mit dieser Waffe, das abschließende Bō-Dori (Erhaschen des Stockes) ermöglichte das unbewaffnete Vorgehen gegen sie.

Schließlich kam die Zeit, zu der das Gasshuku 2015 sein Ende fand. Die fünf Karateka fuhren in den Sonnenuntergang; die Körper gestählt, der Wille gestärkt, das Wissen erweitert. Ein jeder war gewappnet für die Zukunft, bereit, das Gelernte zu verfeinern und zu verfolgen. (Rico)